Wir sprechen im Namen islamischer Gemeinschaften aus ganz Europa. Wir repräsentieren Gemeinschaften mit über 15.000 Moscheen und islamischen Einrichtungen, durch die wir Millionen Gläubige erreichen. Wir übernehmen Verantwortung – für Gerechtigkeit, für das Leben, für das Völkerrecht und für das menschliche Miteinander.
Die Situation im Gazastreifen ist eine massive humanitäre Krise. Mehr als 58.000 Menschen wurden bisher durch direkte Angriffe des israelischen Militärs getötet.
Der Verbleib Hunderttausender Menschen ist unklar. Unter den Opfern sind zahlreiche Kinder. Familien wurden ausgelöscht, ganze Landstriche zerstört.
Menschen sterben bei dem Versuch, Wasser oder Nahrung zu beschaffen. Hunger wird gezielt als Kriegswaffe eingesetzt. Humanitäre Hilfe wird eingeschränkt. Die Hoffnung schwindet.
Wir haben das Töten unschuldiger Menschen stets verurteilt, egal ob es von Israel, der Hamas oder anderen ausgeht. Ziviler Opfer sind in keinem Fall akzeptabel. Wir haben uns immer wieder für eine Waffenruhe, für humanitäre Hilfe, für die Freilassung der Geiseln, für Frieden und für die Umsetzung der Zweistaatenlösung für Israel und Palästina ausgesprochen. Leider gab es bis heute keine Besserung, sondern nur eine Verschlimmerung der Situation. Dem seit Jahrzenten bestehenden Konflikt muss ein Ende gesetzt werden. Deshalb sind wir heute hier und möchten nochmal mit geeinter Stimme unsere Forderungen vortragen.
Was wir erleben, geht über einen Krieg hinaus: Es ist eine systematische Zerstörung der zivilen Infrastruktur und der Lebensgrundlagen der palästinensischen Bevölkerung. Es mehren sich Aussagen hochrangiger israelischer Regierungsmitglieder, wonach Palästinenser in Gaza keine Zukunft haben sollen.
Internationale Juristen, Menschenrechtsorganisationen und UN-Vertreter sprechen inzwischen von einem Genozid. Diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit muss endlich ein Ende gesetzt werden.
Wir sind Zeugen von erschreckenden, menschenunwürdigen Bildern bei Verteilstationen für Lebensmittel. Die sogenannte „Gaza Humanitarian Foundation“ ersetzt inzwischen die UNRWA bei der Verteilung von Lebensmitteln. Doch der dadurch entstandene Rahmen verschärft die Not, erschwert den Zugang zur Hilfe und erhöht den Druck auf die Bevölkerung, den Norden Gazas zu verlassen. Eine Hilfsstruktur, die faktisch Vertreibung begünstigt, ist keine Lösung – sie verschärft die Krise. Die Berichte über die Tötung von Menschen, die sich für ein Stück Brot zu den Verteilstationen begeben, sind zutiefst erschütternd.
Menschenrechtsorganisationen dokumentieren eine Vielzahl schwerer Völkerrechtsverletzungen, darunter schwere Kriegsverbrechen. In sozialen Netzwerken kursieren Videos, die diese Verstöße offen zur Schau stellen. Auch im Westjordanland eskaliert die Lage weiter: Enteignungen, gewaltsame Vertreibungen und der Ausbau völkerrechtswidriger Siedlungen schreiten voran. Tag für Tag, Haus für Haus.
All das geschieht unter den Augen der Weltöffentlichkeit. Die Reaktionen europäischer Regierungen bleiben jedoch weitgehend symbolisch. Klare
Konsequenzen bleiben aus. Das wirft Fragen auf: Wie lässt sich das Bekenntnis zu den Menschenrechten mit dieser Zurückhaltung vereinbaren? Wo liegen die roten Linien für die europäische Politik?
Viele politische Stimmen in Israel sprechen offen von einer dauerhaften Kontrolle Gazas oder einer vollständigen Neubesiedlung. Ziel scheint zunehmend die Verhinderung palästinensischer Eigenstaatlichkeit und Existenz in diesem Gebiet zu sein.
Wir halten fest: Wer Frieden will, muss sich für Gerechtigkeit einsetzen. Wer Gerechtigkeit fordert, muss sich an das Völkerrecht halten – auch dann, wenn es um enge Partner geht.
Wir fordern:
- einen sofortigen Waffenstillstand und ein Ende des Völkermordes
- die Freilassung aller Geiseln und zu Unrecht verhafteter Menschen
- freien Zugang für humanitäre Hilfe
- keine Waffenlieferungen, solange diese für Kriegsverbrechen und völkerrechtswidrige Einsätze missbraucht werden
- Wir fordern, dass der Internationale Strafgerichtshof seine Arbeit ohne politischen Druck fortsetzen kann.
- Wir fordern einen ungehinderten Zugang für Journalisten nach Gaza und Gewährleistung ihrer Sicherheit für eine unabhängige Berichterstattung.
- Wir fordern die Anerkennung eines freien und souveränen palästinensischen Staates auf der Basis einer Zweistaatenlösung, für einen dauerhaften Frieden, damit beide Länder und Völker gemeinsam und in Würde leben
Die Mehrheit der europäischen Bevölkerung teilt unsere Perspektive. Umfragen zeigen breite Zustimmung für eine klare politische Positionierung. Doch in vielen Parlamenten bleibt diese Stimme ungehört.Die wachsende Distanz zwischen Bevölkerung und politischen Entscheidungen gefährdet das Vertrauen in das Bekenntnis politischer Entscheidungsträger.
Auch aus Teilen der muslimischen Welt fehlt bislang eine gemeinsame, entschlossene diplomatische Initiative. Es wird gesprochen, aber konkrete Maßnahmen bleiben oft aus. Symbolik ersetzt Verantwortung – auch das sorgt für Enttäuschung.
Wir stehen seit Jahrzehnten im Dialog mit jüdischen Gemeinden in Europa – auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt. In Europa gibt es gegenwärtig einen guten interreligiösen Dialog und Zusammenhalt. Wir werden nicht zulassen, dass Extremisten – woher sie auch kommen – einen Keil zwischen unsere Gemeinschaften treiben. Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus haben unter uns keinen Platz.
Der Schmerz der palästinensischen und israelischen Familien, die Angehörige verloren haben und auf Lebenszeichen ihrer entführten bzw. zu unrecht festgehaltenen Familienangehörigen warten, sitzt tief. Palästinensern wird zudem jede Lebensgrundlage genommen. Wir wollen Frieden und Gerechtigkeit. Beides ist untrennbar miteinander verbunden.
Unser Dank gilt jenen europäischen Staaten, die sich klar positionieren, Palästina anerkennen und konkrete Maßnahmen gegen die anhaltenden Menschenrechtsverletzungen fordern. Ebenso danken wir den vielen mutigen Stimmen – aus Kunst, Sport, Medien und Wissenschaft -, die kontinuierlich und öffentlich auf das Leid in Gaza und im Westjordanland hinweisen. Ihr Einsatz ist unverzichtbar.
An die palästinensische Zivilbevölkerung: Wir können das unermessliche Leid, das Sie ertragen müssen, nur erahnen. Die Zahl der Toten, die Zerstörung ganzer Lebenswelten, das Leid unzähliger Familien – es erschüttert uns zutiefst.
Die politische Untätigkeit und das Wegsehen vieler Entscheidungsträger weltweit tragen zur humanitären Katastrophe bei. Doch Ihr Leid und Ihre Hoffnung auf eine friedliche, gerechte und selbstbestimmte Zukunft dürfen nicht vergessen werden.
Wir setzen uns dafür ein, dass Ihre Geschichten gehört, Ihre Rechte geachtet werden und Sie Ihre Zukunft selbst bestimmen können – in Freiheit, Würde und Sicherheit. Unsere Gebete und unser Engagement gelten dem Frieden – und der gemeinsamen Wiederherstellung eines lebenswerten Palästinas.
Unterzeichnende muslimische Organisationen
Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM)
Französischer Rat für den Islam (CFCM)
Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ)
Exekutivorgan der Muslime in Belgien (EMB)
Islamrat Norwegens (IRN)
Kontaktorgan der Muslime und der Regierung in den Niederlanden (CMO)
Dänisch-Muslimische Union (DMU)
Union Islamischer Gemeinschaften und Organisationen Italiens (UCOII)
09.07.2025 – Brüssel
KRM Sprecher
Aktueller Sprecher:
Ali Mete
sprecher@koordinationsrat.de