Erklärung des Koordinationsrates der Muslime zum Nahostkonflikt und den darüber herrschenden Diskurs in Deutschland

Die hiesige Nahost-Debatte spaltet unsere Gesellschaft. Folgt man den Medien, gewinnt man den Eindruck, als gäbe es nur zwei Lager: pro-palästinensisch oder pro israelisch. In Wirklichkeit gibt es einen breiten Konsens: pro-Frieden. Wer genau hinschaut, sieht: Die allermeisten Menschen fordern das Ende der Gewalt und Frieden – auf beiden Seiten. Die mediale und politische Thematisierung hingegen zielt an diesem Konsens vorbei. Der Koordinationsrat der Muslime mahnt deshalb eine Versachlichung der Debatte an und fordert mehr Differenzierung.

Die bisherige Debatte schürt Vorurteile und führt zu verbalen oder tätlichen Angriffen gegenüber Juden und Muslimen. Jüdinnen, Juden und jüdische Einrichtungen sind antisemitischen verbalen und tätlichen Angriffen ausgesetzt. Seit der Gewalteskalation in Nahost leben sie in großer Sorge vor Übergriffen. Von der handfesten Gewalt sind auch Muslime und Moscheen betroffen, es ist bisher zu Dutzenden Übergriffen auf Muslime und Moscheen gekommen. Ein Aufschrei ist bisher ausgeblieben. Den antimuslimischen wie auch antisemitischen extremistischen Spektren wird geradezu in die Hände gespielt.

Eine weitere unübersehbare Beobachtung ist das Ausbleiben mangelnder öffentlicher Anteilnahme an den schrecklichen Entwicklungen in Nahost, die bereits tausenden Zivilisten, Kindern, Älteren und Frauen das Leben gekostet hat, was innerhalb der muslimischen Community in Deutschland zunehmendes Unverständnis hervorruft. Hinzu kommen die gebetsmühlenartig wiederholten Distanzierungsforderungen vom Terror, die nicht nur das Verstehen erschweren, sondern auch frustrieren lassen, weil man sich nicht verstanden sieht. Wird der Terror verurteilt, wird die Aussage in Zweifel gezogen. Dieser Generalverdacht führt insbesondere bei jüngeren Muslimen zu einer Entfremdung– eine zutiefst besorgniserregende Entwicklung.

Es häufen sich Berichte in der muslimischen Gesellschaft über Kinder und Jugendliche, die Stigmatisierungen in Schulen ausgesetzt sind. An die Mitglieder des Koordinationsrates wurden zahlreiche Fälle von besorgten Schülerinnen und Schülern sowie Eltern herangetragen. Sie beklagen Gesinnungsabfragen oder das Auslassen der Thematisierung der nun über 10.000 palästinensischen Opfer, davon über 4.000 Kinder, im Schulunterricht. Wer darauf aufmerksam mache, werde teilweise ausgegrenzt.

Zur Klarstellung: Es geht nicht darum, den Terror zu relativieren oder gar zu unterstützen. Wer Verbrechen verteidigt, muss selbstverständlich Gegenwind ernten. Wer jedoch legitime Forderungen stellt, das Leid des palästinensischen Volkes zur Sprache bringt, sich mit ihr solidarisiert, sich für Frieden einsetzt, verdient Gehör.

Köln, 07.11.2023